RG-Törn Schottland: Wick – Lerwick: 60° Nord sind gesetzt!

RG-Toern-Schottland-2013Vom 11. bis 25. Mai 2013 fand der erste von drei RG-Törns der Saison im Norden Schottlands statt. Wetter und Revier hielten ihre Versprechungen, denn es war kühl und für jede Tagesetappe musste fleissig gerechnet werden.

Wenn einer eine Reise tut oder: verschiedene Verkehrsmittel führen nach Wick
Bereits anfangs Mai lag die „Flying Swiss“ im Hafen von Wick an der schottischen Nordostspitze und wartete auf unsere Crew. Das Schiff von Wick nach Lerwick zu bringen, war das eine, zuerst mussten wir aber zum Starthafen gelangen, was aufgrund der abgeschiedenen Lage von Wick gar nicht so einfach war. Da es keine offensichtlich einfache Anreisemöglichkeit nach Wick gibt, reiste unsere Crew mit verschiedenen Verkehrsmitteln an: Der eine Teil verbrachte den ganzen Freitag mit der Anreise per Flugzeug und Überlandbus via London und Inverness, der andere Teil startete bereits am Donnerstag und reiste per Zug und Überlandbus von Basel nach Wick via Paris, London und Inverness. Die Zugvariante benötigte selbstverständlich mehr Zeit, doch die Reise mit dem TGV, dem Eurostar und dem Caledonian Sleeper durch die schottischen Highlands war ein Erlebnis für sich und absolut stressfrei.

Ein verlassenes Schiff beginnt wieder zu leben
Teilweise ausgeruht, konnten wir das Schiff bereits am Freitagnachmittag übernehmen, denn die „Flying Swiss“ lag beinahe zwei Wochen alleine in Wick und wartete auf uns. Dass wir schon früh in Wick waren und das Schiff in Beschlag nehmen konnten, kam sehr gelegen, denn so hatte der Bootsbauer vor Ort noch genügend Zeit für einige geplante Reparaturen. Ausserdem konnten wir uns so organisieren, dass wir bereits am Samstag vollgebunkert Wick Richtung Orkney verlassen konnten.

Linksrum, rechtsrum oder mittendurch?
Orkney und Shetland sind nicht nur jeden Tag navigatorisch eine Herausforderung, sondern haben uns bereits bei der Törnplanung Kopfzerbrechen bereitet. Abgesehen vom Wetter, das jede Tagesetappe bestimmen sollte, boten die rund 70 Inseln und Inselchen von Orkney zahlreiche Möglichkeiten zur Erkundung des Segelreviers. Dass wir uns schliesslich für eine siebentägige Route im Gegenuhrzeigersinn um Orkney und dem krönenden Wochenabschluss durch den Pentland Firth entschieden hatten, bestimmten schliesslich der Gezeitenkalender und unser Wunsch, während der zweiten Törnhälfte auch noch etwas von Shetland zu sehen.

Törnplanung – aus einer Idee wird die nicht ganz geplante Realität
Eine Törnplanung zu Hause am Tisch ist eine gute Sache: Man setzt sich mit dem Revier auseinander, lernt dessen Lieblichkeiten, aber auch tückischen Stellen kennen und gewinnt dabei einen Überblick über das Machbare und den dazu benötigten Aufwand. Und wenn man ein paar Monate später vor Ort ist, wird häufig offensichtlich, dass die Planung zwar gut gemeint war, das Wetter jedoch die Crew zu einer Programmänderung nötigt. In dieser Situation ist es als Skipper angenehm, wenn erstens verschiedene Möglichkeiten im Hinterkopf gespeichert sind und zweitens die gesamte Crew genügend flexibel und vernünftig ist, den Törnplan auch kurzfristig zu ändern. Obwohl wir die wesentlichen Törn-Eckpunkte zur richtigen Zeit erreichten, mussten wir aufgrund des Wetters auf einige Zwischenziele verzichten und spontan unser Programm anpassen.

Kirkwall: einmal, zweimal, dreimal, …
Bei freundlichem Wetter, einigen Wellen und Südwind von 3 bis 4 Beaufort starteten wir unseren Törn Richtung Norden. Unser erster Ankerplatz lag an Orkneys Ostküste in der geschützten Bucht des Deer Sound. Ein kurzer Schlag am zweiten Tag führte uns nach Kirkwall, dem Hauptort der Orkneys auf der Insel Mainland. Die Gale Warning von Shetland Coastguard überzeugte uns davon, schon am dritten Tag einen Ruhe- und Kulturtag einzulegen. Der Marsch über den Marinasteg durch kalten Wind und Regen liess uns immer wieder von Neuem spüren, dass unser Entscheid richtig war. Statt wie geplant von Stromness aus, erkundeten wir also das kulturhistorische Highlight der Orkneys von Kirkwall aus: Skara Brae, eine jungsteinzeitliche Siedlung an der Westküste von Mainland.

Darüber, was am Ausflug nach Skara Brae lohnenswert war, konnte sich die Crew nicht einigen: Skara Brae selber, die Taxifahrt quer über Mainland oder das Rekognoszieren der Bucht vor Skara Brae, wo man auf einem Folgetörn womöglich ankern könnte? Auf jeden Fall haben wir alle gelernt, dass die Köche und Köchinnen von Skara Brae vor 5000 Jahren über eine äusserst moderne Kochmethode verfügten, denn sie bereiteten ihre Lobster mit dem Steamer aus Stein zu!

Mindestens ebenso interessant wie Skara Brae, war unser Nachbarschiff in der Marina von Kirkwall, welches wir, wie den Ort als solchen, nicht nur einen Tag oder zwei Tage, sondern gleich drei Tage anschauen durften. Die „Overlord“, ein unter britischer Flagge laufender 100 m2-Seekreuzer, zog unsere Blicke auf sich und deren Skipper erzählte uns nicht ohne Stolz die Geschichte der „Overlord“: 1936 bei Abeking & Rasmussen vom Stapel gelaufen und ursprünglich für die deutsche Luftwaffe als „Pelikan“ gebaut, kam sie 1945 in britischen Besitz und wurde umbenannt. Nach dem Wechsel in Privatbesitz im Jahre 1961 gründete der damalige Besitzer bald einen Club, der sich seither um den Erhalt der „Overlord“ kümmert.

Dass wir die „Overlord“ und deren Skipper schon innerhalb einer Woche am gleichen Steg wieder sehen würden, nahmen wir beim Ablegen Richtung Pierowall nicht an und dass wir dann froh sein würden, den Hafen von Kirkwall bereits zu kennen, stellten wir uns schon gar nicht erst vor …

Der sagenumwobene Pentland Firth
Nach dem Abstecher nach Pierowall, ans nördliche Ende der Orkneys und entlang der Westküste in den Hauptort Stromness, lag er endlich vor uns, der legendäre Pentland Firth, der einen Gezeitenstrom von 10 kn erreichen kann! Die stundenlange Rechnerei des Navigatorenteams machte sich bei unserer Fahrt durch den Firth bezahlt und der strahlend blaue Himmel sowie ein angenehmer Halb- bis Amwindkurs trugen das ihre zu einem einmaligen Segeltag bei. Die „Merry Men of Mey“ haben wir bezwungen und auch die Meerhexe bei Swilkie Point sowie „Liddel Eddy „konnten uns nichts anhaben. Mit der Fahrt durch den Pentland Firth hatten wir unser eigentliches Hauptziel des Törns bereits erreicht – zufrieden konnten wir in der Ankerbucht von East Weddel den sonnigen Nachmittag und Abend geniessen.

Fair Isle – angepeilt, doch nie erreicht!
Schon in der Frühe des Folgetages machte uns die Windanzeige darauf aufmerksam, dass der Wind auf NE gedreht hatte, genau in jene Richtung, wo unser nächstes Ziel lag. Nicht erstaunlich, denn so hatte es auch der Wetterbericht vorausgesagt und auch unsere Tagesmeteofrau analysierte die Wetterkarte sorgfältig und prophezeite uns, wann wir genau auf die Regenwand der Front treffen würden. Der Drang und Willen, auf Fair Isle zu gelangen, war jedoch bei der gesamten Crew so gross, dass wir sämtliche Zeichen ignorierten und frohen Mutes unsere Tagesetappe auf die Insel zwischen Orkney und Shetland unter den Kiel nahmen. So segelten wir rund 40 Seemeilen Richtung Fair Isle, bevor uns nicht zuletzt dank dem GPS klar wurde, dass wir das ersehnte Ziel weder in sinnvoller Zeit noch unter angenehmen Bedingungen erreichbar würden. Schade, denn eigentlich wurden wir von Sue und Kenny erwartet, die uns zu einer heissen Suppe auf Fair Isle einladen wollten! Stattdessen machten wir einen 180°-Dreher und peilten zum zweiten Mal in einer Woche Kirkwall an, dieses Mal aber als Fluchthafen bei Dunkelheit, Schauer und 6-7 Beaufort. Nass und müde erreichten wir schliesslich wieder den bereits bekannten Steg in Kirkwall und machten neben der „Overlord“ fest. Dass der Entscheid, Umzukehren nicht falsch war, bestätigte uns Sue von Fair Isle: Die Inselfähre hatte ihren Dienst aufgrund des starken Schwells, der in den Nordhafen von Fair Isle schlug, eingestellt – also hatte unsere 43 Fuss GFK-Yacht unter diesen Bedingungen wohl auch nichts in diesem Hafen verloren!

Ab nach Norden!
Unsere missratene Reise nach Fair Isle und der folgende Hafentag in Kirkwall drängten uns zur Etappenänderung, denn es lagen noch etliche Meilen vor uns bis nach Lerwick. Nachdem wir erfahren hatten, wie eine Überfahrt enden kann, waren wir umso mehr darauf erpicht, möglichst rasch Shetland zu erreichen. Die sinnvollste Route von Lerwick nach Norden führte uns ein zweites Mal nach Pierowall, von wo aus wir die Überfahrt Richtung Shetland in Angriff nahmen. Dafür, dass die gleiche zu segelnde Strecke auch beim zweiten Mal nicht langweilig wurde, sorgte der dichte Nebel, der sich in grossen Fetzen in die teilweise engen Fahrwasser legte. Radar, GPS und die Erinnerung daran, wie die gleiche Gegend ein paar Tage zuvor ausgesehen hatte, trugen das ihre dazu bei, dass die 30 Seemeilen durch dicken Nebel zu einem interessanten, wunderbaren Erlebnis wurden.

Der Nebel blieb uns auch am Tag der Überfahrt nach Shetland erhalten. Der Radar ermöglichte es zwar, unser Vorhaben durchzuführen, was der Radar allerdings nicht anzeigen konnte, waren die Bojen mit Fischnetzen, welche von der Crew ständigen intensiven Ausguck entlang der Gewässer vor Orkney verlangten. Nach sportlicher Fahrt unter Segel erreichten wir nach 80 Seemeilen unseren Ankerplatz in der Bucht von Grutness Voe am Südostzipfel Shetlands.

Shetland – so schön, aber viel zu kurz!
Leider war es bei unserer Ankunft in Shetland schon Montag, so dass entlang dieser Insel nur noch drei Segeltage vor uns lagen. Wieder wurde die theoretische Törnplanung der Wintermonate über den Haufen geworfen und spontan revidiert, um das Optimum aus der Situation zu holen. Wir entschieden uns für einen Schlag Richtung Norden nach Burra Voe, vorbei am prähistorischen Wehrturm auf der Insel Mousa und an den hohen, steil ins Meer abfallenden Cliffs des Head of Noss mit ihren unzähligen Seevögeln. Dass sämtliche Tagesetappen des Törns auch mit navigatorischen Highlights versehen waren, versteht sich in diesem anspruchsvollen Revier von selbst. Die Gezeiten, die zahlreichen Inseln und Inselchen und damit verbunden die zum Teil heftigen Strömungen sorgten allabendlich für rechnende Navigatoren und tags darauf für rasante Passagen durch die streckenweise engen Fahrwasser.

Mit Burra Voe haben wir bei schöner Abendstimmung einen kleinen, mindestens im Mai, fast einsamen Hafen angelaufen, der schliesslich als unsere nördlichste Position im Logbuch vermerkt wurde. Der kleine Hafen liess uns nur erahnen, was uns mit ein paar Tagen mehr Shetland erwartet hätte – vielleicht war es jener angelaufene Ort des Törns, der irgendwie am schönsten war und wenn es schön ist, soll man bekanntlich ans Aufhören denken. Vielleicht weniger die Vernunft, als vielmehr das Törnprogramm und der Wetterbericht sorgten dafür, dass wir am darauf folgenden Tag wieder südwärts Richtung Lerwick segelten. Via Outer Skerries liefen wir den Hafen Symbister auf der Insel Whalsey an, der laut den lokalen Seebären der Shetlands auch sicher sein sollte bei den angesagten 8 Beaufort für den Folgetag.

Wetter à la Fair Isle
RG-Toern-Schottland-2013-2Dass Segler sowohl dem Wetterbericht von Met Office als auch Shetland Coastguard trauen können, wurde unserer Crew täglich bewiesen. Und dass sich das Wetter und die Windrichtungen auf den Orkneys und Shetland rund um das Seegebiet Fair Isle schnell ändern, erlebten wir während unseres 14-tägigen Törns auch immer wieder. Mit der Zeit gewöhnten wir uns an diese Verhältnisse, so dass wir wohlweislich im Hafen von Symbister abgewetterten und die 8-9 Beaufort an der Kaimauer festgemacht, über die „Flying Swiss“ fegen liessen. Diesen weiteren Hafentag verbrachten wir nicht nur mit dem Vorbereiten des Schiffes für die Übergabe, sondern wir besuchten das „Pier House“, eine ehemalige Handelsstation der Hanse, die heute liebevoll in ein kleines Museum umgewandelt ist und die Besucher einiges über die Handelsverbindungen der Hanse erfahren lässt. Zudem frönte die Crew ihren neuen Freizeitsaktivitäten: Nach fast zwei Wochen Schottland war keine Dartsscheibe und kein Billiardtisch mehr vor uns sicher, so dass wir auch in Symbister die Pfeile fliegen und Kugeln rollen liessen. Der zweitletzte Abend des Törns endete denn auch mit einem umkämpften Darts-Turnier zwischen zwei Crew-Ladies und einer Delegation des lokalen Frauenlandhockey-Teams.

Fast alles vorbei!
Freitag, der letzte Törntag. Nicht nur der starke Wind war wundersam verschwunden, sondern mit der Einfahrt in Lerwick nahm auch unser Törn sein Ende. Tanken, einpacken, putzen, aufräumen, Dokumente ausfüllen – der Freitag ging wie im Flug vorbei. Ein letztes gemeinsames Nachtessen und natürlich ein letzter gemeinsamer Pubbesuch vor der letzten Übernachtung im geputzten Schiff. Zeit, der Folgecrew Platz zu machen, die am nächsten Morgen erwartungsvoll um 9 Uhr auf dem Steg stand. Schiffsübergabe, Frühstück im Restaurant und los ging die Rückreise in die Schweiz. Die Busfahrt zum Flughafen führte uns durch die hügelige Landschaft Shetlands, die zu einem weiteren Inselbesuch einlädt. Der wolkenlose Flug liess uns Schottland von der Ost- bis zur Westküste überblicken und ermöglichte uns wenigstens aus der Luft einen Blick auf Fair Isle. Vorbei? Ja, für dieses Mal, doch Fair Isle und der Norden rufen immer wieder nach einem Besuch!

Rahel Sameli

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