„Wahre“ Rheinschiffergeschichten

Stammabend 3. März 2010

events-2010-rheinschiffWenn die Schweizer Fussballer kicken und die Fasnächtler Ferien machen, dann haben es auch exzellente Referenten schwer, viele Mitglieder mobilisieren zu können. Leider lauschten nur rund 45 Personen den Worten des trotz seinen 76 Jahren noch äusserst vitalen Referenten, Herrn Fritz, einem ehemaligen Rheinschiff-Kapitän.
Schon die Römer und Kelten haben den Rhein für den Warentransport genutzt. Auch spätere Generationen nutzten den Wasserweg, jedoch stellten Schwellen und Stromschnellen unüberwindbare Hindernisse für einen durchgehenden Verkehr vom Meer nach Basel dar. Gegen die Strömung half nur die Kraft von Mensch und Tier. Unmenschliche Anstrengungen waren nötig, um die Schiffe bergwärts bewegen zu können. Heute kaum mehr vorstellbar sind auch die Flosse, die 1910 eine Grösse von bis zu 220 m Länge und 63 m Breite erreichten.

Die Rheinkorrektur führte zu einer Verkürzung um rund 80 km sowie zu einer Verbreiterung und Vertiefung, die den Einsatz von motorisierten Rheinschiffen erst so richtig ermöglichten. Doch nicht nur technische Hindernisse mussten beseitigt werden, auch gesetzliche Hürden mussten geschleift werden. Die Mannheimer Akte von 1868 ermöglichte es, den Rhein auch ohne permanente Zollkontrollen und -zahlungen passieren zu können. Dies heisst jedoch nicht, dass der Rhein vorschriftenlos ist. Zwischen Rotterdam und Basel gibt es so viele Vorschriften wie zwischen Basel und Rheinfelden. Dies ist jedoch weniger auf eine Schweizer Gesetzeswut zurückzuführen, als vielmehr auf die sehr schwierigen nautischen Bedingungen. Eine Fotosequenz am Stammabend zeigte deutlich auf, wie schwierig bspw. die Passierung der mittleren Brücke in Basel ist. Steuerbord und backbord bleibt nur wenig Raum und wer den Brückenbogen nicht mittig ansteuert, bleibt mit dem Aufbau an der Brücke hängen.

Der Rhein und damit das Tor zum Meer waren und sind für die Schweiz sehr bedeutend, obwohl die offizielle Schweiz dies etwas ignoriert, vermutlich weil Zürich und Bern nicht am Rhein liegen. In der „besten“ Zeit fuhren 167 Schiffe im Auftrag der Schweizerischen Reederei, einem der damals führenden Unternehmen. Rund 500 Schiffe unter Schweizer Flagge auf unserem Rhein, das war mal …

Doch blenden wir zurück. Es ist Krieg und die Schweiz von Feinden eingeschlossen. Da gibt es Personen, die von der grossen weiten Welt träumen, so bspw. unser Referent. Der junge Mann steht nach dem Krieg vor der Berufswahl und der Berater überreicht ihm eine Liste möglicher Berufe. „Vom Schiffsjungen zum Kapitän“ verspricht da eine Broschüre und damit beginnt für ihn 1949 die Laufbahn auf der „Leventina“. 24 Burschen müssen zum Appell antreten und werden im militärischen Stil geführt und gedrillt. Rheinschwimmen im Winter gehört ebenso dazu wie eine vielfältige technische Ausbildung. Dies ist selbstredend nicht gratis. Der Ausbildungsbeitrag muss in der Verwandtschaft als Darlehen „zusammengschnorrt“ werden, denn die Eltern können dies nicht aus eigener Kraft finanzieren. Die Ausbildner schulen mit Herz, Kopf und Hand …

Ohrfeigen ersetzen das Quali-Gespräch und die Härte entspricht der Note … Dafür kriegen die jungen Herren eine adrette Uniform, die im Ausgang, so es diesen gibt, tragen müssen. Morgens Theorie, nachmittags Praxis, viel Sport – Schwimmen, turnen, boxen – so werden die Schiffsjungen gedrillt. Ordnung ist das halbe Leben und so müssen auch die Kajüten immer perfekt aufgeräumt sein. Nach dieser Ausbildung war für Herrn Fritz die Gebirgsgrenadier RS fast wie Urlaub …

Nach der Ausbildung kam die erste Enttäuschung. Statt einem Marschbefehl für ein Schiff startet seine Karriere zuerst mal als Liftboy. Doch endlich ist’s geschafft. Auf dem Passagierschiff „Attila“ beginnt das wahre Leben. Für den Kapitän ist es sein erstes Kommando und verblüfft den Schiffsjungen mit seiner menschlichen Art. Es geht also auch ohne Gebrüll und Schikane. Nach diesem ersten Schnuppern heuert er auf einem Frachtschiff an. Die Kajüte ist nach einer Havarie feucht, respektive nass. Nach 3 Tagen Grobreinigung ist diese beinahe bewohnbar. Nach heutigen Massstäben würde man das sicherlich anders beurteilen …

Unser Referent präsentiert Bild um Bild und Anekdote um Anekdote. Wir erfahren von Schiffen, deren Stahlwand so dünn wie Zeitungspapier war, von Schleppverbänden bis 1.4 km Länge und 8 Schiffen, die nur mit lebensgefährlichen Manövern bewegt werden konnten, von der Schlitzohrigkeit der Kapitäne, die bei Abschleppmanöver immer das älteste Tauwerk einsetzten, das natürlich zerstört und ersetzt werden musste, dies finanziert durch die Versicherungen, von seinem Einsatz im Winter und zerstörter Scheibe, dies bei minus 25 Grad. Eine 500 kg Fliegerbombe im Ankergeschirr, das bedingt starke Nerven und manchmal muss man als Seemann auch etwas Glück gepachtet haben.

Als Kapitän erlebt er nicht nur die schönen Seiten, sondern muss auch miterleben, wie sich sein Schiff nach einer fehlerhaften Beladung zerlegt und absäuft. Bei der Bergung wird die Tonnage in den Rhein gekippt, heute wäre das undenkbar.

Wir lernen: Schon damals wollten die Reedereien die Bedenken der Kapitäne nicht ernst nehmen … Die Gerichtsverhandlungen zehren an den Nerven, denn es geht letztlich um sein Patent, doch am Schluss gewinnt er. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit des Logbuchs respektive einer richtigen Darstellung solcher Vorfälle. Am Schluss muss immer der Satz stehen: „Mich und mein Personal trifft keine Schuld“!

Doch das Gute an unschuldig versenkten Schiffen ist, dass der Kapitän ein Kommando auf einem neuen Schiff erhält, eine interessante Betrachtungsweise …

Nach seiner Karriere auf dem Wasser war unser Referent weiterhin in der Branche tätig, so u.a. als Experte bei Havarien. Wir erfahren, dass die meisten Unglücke heute auf eine falsche Bedienung der Technik bzw. einem mangelnden Verständnis für deren Limitierungen zurückzuführen ist.

Man merkt es dem Referenten an, er war mit „Haut und Haar“ Kapitän. Wäre da nicht seine Familie gewesen, er hätte seinen erlernten Job nie aufgegeben.

Zum Abschluss seines Bilderreigens kriegten wir noch einen kurzen Einblick in die Welt der Schweizer Flotte auf See. Gefahrvoll waren die Fahrten v.a. während und kurz nach dem Weltkrieg, als die Schiffe beschossen worden sind (weil man der Neutralität nicht traute oder die Flagge nicht kannte) oder auf Minen liefen. Mehrere Seeleute wurden in dieser Zeit verletzt und getötet, um die Schweizer Landesversorgung sicherstellen zu können. Dieses Risiko für Schweizer Schiffe erlebt leider wieder eine Renaissance, diesmal in Form der Piraterie, wie wir kürzlich lesen mussten.

Mit den eher nachdenklichen Bildern aus stürmischen Zeiten endete ein perfekter Stammabend mit einem Referenten, der sich durch ein hervorragendes Fachwissen sowie einen sehr grossen persönlichen Erfahrungsschatz auszeichnet. Die vielen Anekdoten kann man leider hier nicht alle widergeben, man muss diese selbst erlebt haben!

Als Dank für seinen präzis zweistündigen Vortrag erhielt der Referent einen sehr grossen Applaus und ein Geschenk in Form eines Toolings für seine Hobbies. Dass die RG’ler um 2200 Uhr nicht sofort zum Umtrunk aufbrechen wollten, sondern über das Erfahrene an ihren Tischen noch lange weiterdiskutierten, spricht für sich und Herrn Fritz!

Captain Andreas Schneeberger

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