Eigentlich fing es nicht gut an, gar nicht gut. Unser RG-Törn Stockholm – Gävle, der nicht in Gävle enden sollte … . Ich war schon am Montag, 2. Juni in Stockholm, um ein bisschen Sightseeing zu machen. Die Stadt ist herrlich, das Wetter war sehr angenehm und das Hotel hielt Fahrräder bereit. Letzteres ist das ideale Fortbewegungsmittel, denn die Stadt ist auf mehrere Inseln verteilt, aber auch weitgehend flach. Selbst auf der Fähre findet man sich wieder unter vielen anderen Velofahrern.
Am Donnerstag hatte ich schon einiges von der Stadt gesehen und wollte mich mit der Schiffsübernahme am Samstag befassen. Dann das Telefon: Der Vorskipper – noch fast eine Tagesreise von Stockholm entfernt – meldete ein Problem. Nun ja, das kann es geben, dachte ich mir. Um noch nachzudoppeln, fügte er hinzu: ein grösseres Problem – sie hätten am Morgen beim Auslaufen aus der letzten Bucht ihres Törns einen Stein getroffen, oder umgekehrt. Das Schiff sei schwierig zu steuern.
Einige Stunden später rief er wieder an, diesmal aus dem Yachthafen Wasahamnen in Stockholm. Bevor er mir Details am Telefon schildern wollte, riet er mir vorbeizukommen. Kein Problem, mit dem Fahrrad war ich in zehn Minuten dort. Tatsächlich, das Steuerrad liess sich einen Drittel nach Steuerbord und zwei Drittel nach Backbord bewegen, allerdings nur mit grossem Kraftaufwand. Keine Frage, das Schiff musste repariert werden. Das Ausmass des Schadens war natürlich nicht ersichtlich, nur Auswassern würde eine Abschätzung erlauben. Es war klar, man hat ja den Freitag um den Schaden zu beheben. Nicht aber in diesem Fall, denn am Freitag war Nationalfeiertag – an ein Auswassern war nicht zu denken.
Mich beschäftige nun die Frage, wie sag ich’s meiner Crew? Am Donnerstagabend trafen bereits einige Crewmitglieder im Hotel ein und bald darauf musste ich ihrer freudigen Stimmung beim Apéro in der Abendsonne auf der Hotelterrasse ein plötzliches Ende bereiten. Die Enttäuschung war gross. Vor allem, weil wir nur einen einwöchigen Törn vor uns hatten und es völlig unklar war, ob so eine Reparatur einen Tag dauert oder mehr als eine Woche, je nachdem, ob Ersatzteile für die Cruising Swiss V angefordert werden müssen. Schnell spielten wir einige Möglichkeiten durch: Ersatzschiff chartern, Geldrückforderung, den Club verklagen, mehr Sightseeing… vieles wurde erwogen.
Mit der engagierten Hilfe von Isabelle Rottenmanner und Andi Flückiger vom CCS-Generalsekretariat in Bern und mit kreativem Surfen seitens meiner Crew stand bald fest: Wir haben ein Charterschiff für uns acht Personen ab Samstag, etwa 6 sm von Stockholm entfernt. Und man staune: im Hafen gleich daneben, in Gehdistanz, war weit und breit die einzige Möglichkeit, ein Schiff von der Grösse der Cruising Swiss V auszuwassern – allerdings erst am Montag. Mit diesen Aussichten kam wieder ein Lachen in die enttäuschten Gesichter meiner Crew zurück. Für ein paar unter uns war der Umstand, dass wir zwar am Samstag mit dem Charterschiff, einer Bavaria 46, auslaufen konnten, aber am Montag vielleicht wieder zur Werft zurückfahren müssen um die Cruising auszuwassern, Anlass genug nicht in Euphorie zu verfallen. Schliesslich würde dies unsere Reisepläne stark einschränken. Wieso vielleicht wieder zur Werft zurückfahren? Es war schwierig rund um den Nationalfeiertag verlässliche Informationen oder gar einen festen Termin für das Auswassern zu erhalten.
Um es kurz zu machen: Wir vereinbarten mit dem Törnbüro in Bern und mit der Nachfolgecrew, dass wir die Cruising, so sie denn überhaupt rechtzeitig repariert sein würde, am Samstag darauf nicht in Gävle übergeben würden, sondern im Hafen Gåshaga, der Charterbasis vor Stockholm. So beschlossen wir, am Samstag mit der Cruising so gut es ging nach Gåshaga zu fahren, dort das Charterschiff zu übernehmen und am Sonntag in der Gegend zu segeln um am Montagmorgen zuerst einmal mit der Werft Kontakt aufnehmen zu können. Bald realisierte die ganze Crew, dass „in der Gegend zu segeln“ in den Schären gleichbedeutend ist mit lossegeln. Denn dieses Traumrevier ist so vielfältig, dass man sich mühelos darin tummeln kann ohne zweimal denselben Weg machen zu müssen. Und so kam denn alles anders, als ich in den vergangenen Stunden befürchten musste, nämlich viel besser!
Herrliches Wetter mit zeitweise T-Shirt-Temperaturen und – für die Schären eben typisch – keine Wellen. Unter diesen Bedingungen wird auch Aufkreuzen zwischen den Inseln auf engstem Raum zum Spass. Dass dann am Sonntagabend die erste Inselsauna mit erfrischendem Bad im Schärengewässer gleich neben dem Hafen einlud, erhellte die Gesichter endgültig.
Das Telefon am Montagmorgen bestätigte: Wir könnten gleich kommen und die Cruising auswassern. Fünf Seemeilen und das vor dem Frühstück! Das Auswassern war problemlos. Meine vage Vermutung wurde bestätigt: der Schaft eines der beiden Ruderblätter der Cruising war durch die Grundberührung so verbogen, dass das Ruder am Rumpf stark streifte. Der Schaden wurde fotografisch festgehalten und wir machten uns auf den Weg, um mit dem Charterschiff endlich unsere Segelferien anzugehen. Kaum zwei Stunden später, noch während des Frühstücks, rief die Werft an. Die Cruising sei repariert, provisorisch zwar, aber bis Ende Saison sollte es reichen. Wir sollten das Schiff abholen, der Werft würde es im Wege stehen. Klar war uns, dass wir keine Lust verspürten, unser Gepäck und den ganzen Einkauf vom ohnehin schon bezahlten Charterschiff auf die Cruising zu bringen. So liessen wir denn das Clubschiff im Charterhafen und setzten unseren sehr schönen Schärentörn fort.
Wir segelten nach Norden. Der Wind aus West mit 2-4 Bft brachte uns in die verkehrsreiche Bucht vor Vaxholm. Fähren, Ausflugsboote, Lastkähne und Yachten aller Art veranlassten uns, unter Motor am Kastellet vorbeizufahren, um anschliessend dem ausgezeichnet betonnten Fahrwasser zu folgen. Unter Segel querten wir das Hauptfahrwasser der grossen Fähren, die zwischen Helsinki, St. Petersburg, Tallinn oder Riga und Stockholm verkehren. Vor dem Borgsundet mussten wir kurz anhalten um ein entgegenkommendes kleines Motorboot durchfahren zu lassen – die enge Stelle zwischen zwei Felsen erlaubte das Kreuzen nicht.
Nun folgte wieder Schärensegeln vom Feinsten. Das immer noch gut betonnte Nebenfahrwasser führte uns WNW zum Ankerplatz Paradisviken. Und wirklich, nomen est omen: Wir waren zwar nicht die Einzigen, aber der wunderschöne Naturhafen bot alles, wovon wir träumten. Nach der sternenklaren und sehr ruhigen Nacht segelten wir weiter nach NW, nun meist ohne einem anderen Schiff in Sichtweite. Der eher enge und lange Blidösundet wirkte wieder mehr belebt: An den Ufern reihten sich die Wochenendhäuser der Stockholmer malerisch aneinander. Fejan, unser nächstes Ziel war ein Insidertipp von Andrea. Laut Seekarte bot die Insel keine geschützte und öffentlich zugängliche Bucht und der im Handbuch erwähnte Platz am Steg vor dem Restaurant mit Heckanker erschien uns wenig gemütlich, zumal er dem inzwischen auf Nord gedrehten Wind ausgesetzt war. Doch zu unserer Überraschung fanden wir einen brandneuen Steg mit Mooringleinen vor, immer noch eher eine Seltenheit im Norden. So festgemacht und dank dem zweiten Saunagang, entpuppte sich Fejan als erholsamer Aufenthaltsort.
Am nächsten Tag meinte es der Wind auf unserem Kurs nach SSE zeitweise gut mit uns, manchmal mussten aber die Segel auch gestrichen und der Motor zu Hilfe genommen werden. Unsere Absicht, auf Möja-Langviken Wasser zu bunkern, mussten wir aufgeben. Die Wassertiefe beim kurzen Fähranleger war für uns zu gering. So zogen wir weiter im Wissen, einen vollen zweiten Wassertank zu haben. Und wieder lagen wir am Abend vor Anker, nun in der traumhaft schönen Bucht Träskö-Storö. Einige Crewmitglieder übertrumpften sich gegenseitig mit ihren Kochkünsten. Nicht nur, aber auch sehr zur Freude des Schreibenden.
Auf schönen Umwegen gelangten wir am nächsten Tag nach Grinda. Der kleine Gästehafen, bestehend aus zwei Stegen, liegt vor der typischen schönen Schäreninsel. Nachdem sich unsere Köche so ausgezeichnet hatten und die Vorräte ein kulinarisches Potpourri zuliessen, nutzten wir nur die Dusche neben dem Restaurant sowie die etwas abseits gelegene Sauna. Der letzte Tag gewährte uns noch einmal traumhaftes Schärensegeln. Aufkreuzen zwischen Inseln, gefolgt von gemütlichem Raumwindsegeln im nächsten Inselkanal, brachte uns kurzweilig unserem Ziel entgegen. Die Mittagspause in Vaxholm mit einem bei Seitenwind anspruchsvollen Hafenmanöver – meisterlich ausgeführt von Gioia – passte zum äusserst gelungenen Tag. Zurück im Charterhafen, fanden wir die Cruising Swiss V vor, die darauf wartete, mit der Nachfolgecrew aufzubrechen. Wir gönnten uns ein hervorragendes Essen im modernen Hafenrestaurant von Gåshaga und liessen unseren Törn gemeinsam Revue passieren.
Das begeisterte Team: Alina, Andrea, Antonio (Skipper 2), David, Gioia, Martin, Nina, Silvio (Skipper)
Silvio Ofner